Christian Demirtas

Ex-Profi, Mainz 05

 

 

Christian Demirtas spielte einst unter Jürgen Klopp beim FSV Mainz 05 und absolvierte ca. 100 Bundesligaspiele. Er war deutscher Junioren Nationalspieler (U16-U21) und weist internationale Erfahrung auf (UEFA Cup). Christian Demirtas ist inzwischen ins Trainergeschäft eingestiegen und über die Stationen, Würzburger Kickers, Mainz 05 Amateure, aktuell beim Regionalligisten VfR Aalen unter Vertrag, wo er als Co-Trainer, Athletiktrainer und gleichzeitig Videoanalyst tätig ist.

 

 

Emanuel Bozan: Ich freue mich dich zu interviewen Christian, nicht nur weil du über mehrere Jahre in der 1. Bundesliga gespielt hast, sondern auch weil ich dich als Person immer sehr geschätzt habe und immer noch schätze. Im Alter von 20 Jahren hat Jürgen Klopp an dich geglaubt und dich von den Amateuren zu den Profis vom FSV Mainz 05 hochgeholt. Dein Debut war die Einwechslung gegen Borussia Dortmund. Wie war das für dich?

  

Christian Demirtas: Das war wirklich ein Traumerlebnis. Ich kann mich noch genau daran erinnern, als es schon 3:0 für den BVB stand und Jürgen Klopp dann meinen Namen gerufen hat. Da habe ich natürlich ein Kribbeln gehabt und es war direkt eine gewisse Anspannung zu spüren. Ich kann mich noch ganz genau an die Worte von Kloppo erinnern, als er gesagt hat: „Junge, genieß es. Gib einfach dein Bestes und kämpfe um dein Leben und hab Spaß“. Das war einfach ein unvergessliches Erlebnis.

  

Wie sehr hast du an deinen Traum Bundesliga geglaubt und vor allem an dich, um dorthin zu kommen?

 

Es fing in der U16 an. Als die Einladung vom DFB kam, wurde mir dann so richtig bewusst, wie viel in mir steckt und was alles noch möglich ist. Dadurch bin ich dann gewachsen und noch stärker geworden und es hat sich alles peu à peu entwickelt. Es kam dann ein Schritt nach dem anderen und ich habe dann von ganzem Herzen, ab dem Zeitpunkt, voll und ganz daran geglaubt, dass ich es ganz nach oben schaffen kann.

 

Ich beobachte bei jungen Spielern, dass sie alles sehr schnell erreichen möchten und den gleichen Ruhm und die Anerkennung wie die großen Stars, so schnell wie möglich erleben möchten. Wie stehst du zum Thema Geduld?

  

Ja, das habe ich die letzten Jahre extrem bemerkt, als ich dann ins Trainergeschäft eingestiegen bin, dass die jungen Spieler extrem ungeduldig sind. Anstatt, dass sie sich da reinhängen und rein kämpfen, zu beißen und geduldig auf die Chance zu warten, versuchen viele dann doch sehr oft den Verein zu verlassen, anstatt sich durchzusetzen. Was dann auch teilweise ein Fehler ist. Da sehe ich inzwischen ein Riesenproblem bei den Spielern, dass sie zu schnell, zu viel und zu schnell nach oben kommen wollen.

 

Also was ist dein Rat?

 

Definitiv geduldig sein, hart an sich arbeiten und auf die Chance warten. Denn die Chance kann dann auch, von dem einen auf den anderen Moment kommen. Man kriegt es nur durch die tagtägliche harte Arbeit hin, dass man dann ganz nach oben kommt.

 

Was bedeutet es als Profi, jedes Jahr aufs Neue seine Leistung zu bestätigen und sie zu steigern? Was brauche ich dafür?

 

Ich denke dabei immer an das Sprichwort, das mir in meiner Karriere geholfen hat: Zufriedenheit bedeutet Stillstand und Stillstand bedeutet Rückschritt. Daher muss man wirklich tagtäglich an seine Grenzen gehen und sich immer neue Ziele setzen. Nur so entwickelt man sich weiter und kann sich in der 1. Bundesliga etablieren. Also immer wieder auch neue Ziele zu setzen.

 

Im Fußballgeschäft wird man sehr hoch gejubelt und erhält viel Anerkennung von den Fans und den Medien. Im gleichen Zug kann man aber auch, von heute auf morgen, aufgrund eines Riesenfehlers, von der Presse und den Medien, „zerfetzt“ werden. Wie bist du damit umgegangen? Wie bist du allgemein mit Druck umgegangen?

 

Am Anfang meiner Karriere, als ich noch bei den Amateuren gespielt habe, habe ich erstmal viel im Kicker gelesen. Das hat mich dann schon sehr beeinflusst, sowohl positiv als auch negativ. Dann war das für mich auch schon irgendwo ein mentales Problem. Wenn ich gut gespielt habe und positive Kritik über mich gelesen habe, dann habe ich automatisch einen Tick weniger gemacht. Und als ich schlecht gespielt habe, hat mich das dann runtergezogen. Ich habe mir dann, für mich persönlich fest vorgenommen, dass ich einfach gar nichts mehr lese.

 

Also hatte dies schon massiven Einfluss auf dich?

 

Definitiv hat es mich sehr beeinflusst, besonders als junger Spieler. Da nimmt man schon ganz bewusst wahr, was über einen selbst im Kicker geschrieben wird und lässt es auch irgendwie an sich ran. Ich denke heutzutage ist es alles noch viel schlimmer, mit dem ganzen Social Media. Aber letztendlich war es dann für mich so, dass ich einfach gesagt habe, ich lese gar nichts mehr. Ich gebe immer mein Bestes und was die Zeitungen schreiben, interessiert nicht mehr so. Um auf die andere Frage zurückzukommen, wie ich mit Druck umgegangen bin: Ich habe versucht eine gesunde Mischung zu finden. Einerseits brauchst du eine gewisse Anspannung, ein Kribbeln. Und andererseits brauchst du aber auch eine gewisse Lockerheit. Wenn ich zu locker war, habe ich nicht so gut gespielt. Und wenn ich zu angespannt war, war ich verkrampft. Ich habe also versucht, eine gesunde Mischung zu finden und so einen Weg für mich gefunden. Ich habe vor allem sehr an mich geglaubt und wollte aber dabei immer viel Spaß haben, was mir sehr wichtig war, denn darum habe ich Fußball gespielt.

 

Was war dein Halt und woraus hast du deine Kraft geschöpft? Was war dein Antrieb?

 

Mein Antrieb war es letztendlich, mir diesen großen Traum zu erfüllen, über viele Jahre hinweg 1. Bundesliga zu spielen. Halt hat mir natürlich auch meine Familie gegeben, die mich bereits im Kindesalter massiv unterstützt hat. Die Tatsache, was sie alles für mich geopfert haben. Das war definitiv auch ein Antrieb für mich. Wenn meine Familie dann auch bei meinen Spielen zuschauen war, das hat mich natürlich auch stolz gemacht und ich wollte dann immer mehr erreichen. Das war mein Antrieb und Halt, den ich hatte. Antrieb war aber auch die pure Leidenschaft zum Fußball. Ich habe mit 3 Jahren angefangen und ein Leben ohne Fußball konnte ich mir gar nicht vorstellen. Diesen Traum zu erfüllen, von Woche zu Woche in diesen großen Stadien zu spielen, das war einfach ein Traum, ein Genuss. Eine echte Liebe zum Fußball eben.

 

Wie bist du mit Niederlagen umgegangen als Profi? Damit meine ich nicht nur die Ergebnisse, sondern vor allem auch sportlich gesehen, wenn es mal gerade nicht so gut lief für dich?

 

Ja, Niederlagen gehören eben auch zum Geschäft dazu. Letztendlich wird man auch durch Niederlagen stärker. Das habe ich dann auch selber erfahren, als ich mal eine Verletzung hatte. Das war auch irgendwo eine Niederlage für mich, wo ich dann mal 3 Monate oder länger draußen war, aufgrund einer Verletzung. Das hat mich persönlich aber irgendwie noch stärker gemacht, mich als Menschen und besonders meine Persönlichkeit. Da musste man eben auch noch härter arbeiten an sich, noch mehr an sich glauben.

 

Jürgen Klopp ist für mich das Aushängeschild für Begeisterung. Zugleich ist Begeisterung das Fundament in meinem SCHLÜSSEL-Coaching. Du hattest das Privileg mit Klopp über mehrere Jahre zusammenzuarbeiten. Wie hat er die Begeisterung auf euch Spieler übertragen?

 

Ich denke, das ist eine einmalige Sache, wie der Kloppo einfach mit seiner Begeisterung, mit seiner Leidenschaft, mit seiner Überzeugung alle mitgenommen hat… ja das ist einfach einmalig, kann es kaum beschreiben. Sobald er vor der Mannschaft gesprochen hat, da warst du einfach Feuer und Flamme. Das war ein Genuss unter ihm zu spielen und vor allem spielen zu dürfen, weil er inzwischen auch eine herausragende Karriere vorzuweisen hat. Aber das kommt nicht von irgendwoher, dass er jeden Verein, den er übernommen hat, auf ein Top Level entwickelt und zu den besten Vereinen Europas geführt hat. Ok, Mainz führte er von der 2. Bundesliga in die 1. Bundesliga. Aber was er in Dortmund erreicht hat, wo er sie hingeführt hat und vor allem was er jetzt auch noch aus Liverpool gemacht hat, das ist einfach einmalig. Er schafft es einfach die Mannschaft zu begeistern, die ganzen Verantwortlichen, den gesamten Verein, die gesamte Stadt, fast die gesamte Region mitzureißen mit seiner Leidenschaft. Tja, was soll ich da noch sagen?!

 

Dein Vorbild als Trainer?

 

Ja, definitiv was dies betrifft, mein absolutes Vorbild! Wenn ich dann nur einen Bruchteil von ihm übernehmen kann, dann denke ich, würde ich sehr weit kommen.

 

Hoffen wir es Christian. In meiner Arbeit mit den Fußballern, geht es vor allem um die Persönlichkeit, also um solche Dinge, die nicht in Zahlen messbar sind, wie jetzt ein Laktattest. Wie stufst du diesen Part in einem immer schnelllebiger werdenden Leistungssport wie dem Fußball ein?

 

Es ist mittlerweile ein sehr wichtiger Part. Wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahre anschaut, die Persönlichkeit, die Mentalität, ist irgendwo auch etwas abhandengekommen. Letztendlich kam irgendwann im Fußball das Wir-Gefüge, was auch sehr wichtig ist. Aber diese Alpha-Typen, diese Persönlichkeitstypen, sind mit der Zeit irgendwie immer mehr verloren gegangen. Vor allem auch hier in Deutschland. Wenn man sich da mal einige Beispiele herauspickt, ob es ein Oliver Kahn, ein Stefan Effenberg, oder auch ein Michael Ballack ist. Diese Typen gibt es so nicht mehr. Da sind einerseits auch die Vereine und Trainer schuld, weil sie diese Typen auch irgendwo nicht mehr so in einer Mannschaft haben wollten. Es sollte lieber harmonisch zugehen und die Verantwortung auf mehreren Schultern übertragen werden. Ich sage aber immer, um erfolgreich zu sein, braucht eine Mannschaft eben auch diese Art Persönlichkeitstypen. Gerade auch dann, wenn es mal nicht so gut läuft, sind es diejenigen, die dann Verantwortung übernehmen und auch vorne weglaufen, die Kritik auch mal annehmen und versuchen auf ihre Mitspieler einzugehen. Das sind diejenigen, die dann auch in der Kabine ein Machtwort aussprechen. Das ist definitiv auch wichtig, dass es irgendwo eine klare Hierarchie gibt, die es in einer Truppe geben muss. Das ist für mich ein enorm wichtiger Baustein, die Persönlichkeit.

 

Sind Dankbarkeit und Demut Werte, die für dich zum Profisein dazu gehören?

 

Auf jeden Fall Dankbarkeit! Man muss letztendlich dankbar dafür sein, dass man zum einen gesund ist und diesen Sport ausüben darf. Man soll dankbar sein, dass man ein Talent dafür hat. Man soll dankbar sein, dass es so viele Menschen gibt, die einem das ermöglichen Fußball zu spielen. Man soll dankbar dafür sein, dass so viel Aufwand betrieben wird, auch seitens der Familie und Freunde, egal wer. Auch dem Trainer sollte man dankbar sein, der einen unterstützt in seiner Entwicklung, der an einen glaubt. Demütig muss man immer bleiben. Letztendlich sage ich immer, Hochmut kommt vor dem Fall. Man soll nicht denken, dass wenn man es geschafft hat, dass man schon alles erreicht hat. Letztendlich muss man immer auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Das ist ein Job, das ist ein Beruf, ein Traumberuf, bei dem man auch in der Öffentlichkeit steht. Aber man muss definitiv immer demütig bleiben. Das war für mich immer ein wichtiger Baustein, dass ich immer ICH bleibe. Klar mit meinem Job als Profi, stehe ich in der Öffentlichkeit, aber ich bin immer ich selbst geblieben. Mit mir konnte man immer sprechen und meine Mitmenschen konnten immer auf mich zukommen. Deswegen habe ich auch immer ein sehr positives Feedback erhalten von meinem Umfeld, dass ich ein ganz normaler Mensch geblieben bin. Fußballprofi war immer das Ziel, aber demütig zu bleiben und Dankbarkeit, waren etwas, das für mich immer dazu gehört hat. Ich denke, das hat auch etwas mit Erziehung zu tun, ich komme aus einer großen Familie. Ich konnte das immer einordnen und auch einschätzen. Ich bin immer demütig geblieben und war auch immer dankbar.

 

Die nächste Frage hast du mir jetzt vorweggenommen, die wäre, wie wichtig es für dich war, als damaliger Profi, zu sagen: „Ich bleibe trotzdem als Mensch, der, der ich bin“. Die hast du damit klar beantwortet. Machen wir weiter. Wir hören ja immer wieder, dass man eine gute Einstellung braucht. Was bedeutet konkret für dich Einstellung?

 

Ja, das ist auch ein wichtiger Punkt, in der heutigen Zeit, im Fußball, in der heutigen Generation. Was bedeutet Einstellung? Einstellung ist auch Mentalität, die auch immer weniger wird. Letztendlich geht es um die Einstellung zum Beruf. Wie lebe ich meinen Beruf? Wenn ich Profi werden will, was gehört alles dazu? Es gehört dazu, dass ich in jedem Training wirklich an mein Limit gehe. Nur so entwickle ich mich weiter. Nur so komme ich weiter. Wie verhalte ich mich nach einem Training oder vor einem Training? Wie bereite ich mich wirklich darauf vor? Es gibt eine Vorbereitung, und es gibt auch eine Nachbereitung. Das ist eine Einstellungssache. Es gehört dazu, wie ich mich ernähre. Wie ernähre ich mich im Fußball? Wie ernähre ich mich denn als Hochleistungssportler? Man muss sich ja mal diese ganzen Weltsportler anschauen. Ich habe die Doku bei Netflix von Dirk Nowitzki gesehen. Das ist einfach ein Lehrbuch für jeden jungen Profi, was alles dazu gehört, um den großen Traum zu leben, es wirklich nach oben zu schaffen. Es gehört Schlaf dazu, gesunden Schlaf. Ich brauche ausreichenden Schlaf, um mich auf mein Training vorzubereiten. Das sind alles für mich Einstellungsmerkmale. Wie gesagt, Schlaf, Ernährung und in jedem Training alles dafür tun, damit ich mir am Ende des Tages nicht vorwerfen kann, dass ich doch hätte mehr tun können. Das geht nicht nur am Spieltag los, sondern bereits am Anfang der Woche. Ich muss bereit sein, fokussiert sein und mich rund um die Uhr mit meinem Job beschäftigen und meinen Job leben.

 

Die Liebe zum Fußball scheint bei dir nicht aufzuhören und du bist längst ins Trainergeschäft eingestiegen. Aktuell als Co-Trainer beim Regionalligisten VfR Aalen. Ist dein Ziel als Trainer auch eines Tages 1. Bundesliga?

 

Das ist definitiv mein Ziel. Ich sage immer, man soll sich Ziele setzen und nach dem Höchstmöglichen streben. Ich bin, was das Trainergeschäft angeht, jetzt 4 Jahre dabei und bin noch relativ jung. Ich habe hier bei VFR Aalen ein breites Spektrum. Ich mache die Videoanalysen und das Athletiktraining, noch zusätzlich, zu meiner Funktion als Co-Trainer. Ich möchte mich von Jahr zu Jahr weiterentwickeln und man lernt nie aus. Ob jetzt als Fußballer, als Trainer oder generell als Mensch, muss man sich immer Ziele setzen. Letztendlich kann man nicht einfach durch die Welt laufen, und sagen, ich laufe von A nach B. Es ist wichtig, sich Ziele zu setzen und wenn man sie erreicht hat, dann auch weitere Ziele zu setzen. Ich sage immer wieder, Zufriedenheit bedeutet Stillstand und Stillstand bedeutet Rückschritt.

 

Ich wünsche es dir von Herzen Christian. Dein abschließender Satz in Bezug auf die Spieler, die den Unterschied ausmachen und über viele Jahre hinweg in der 1. Bundesliga spielen, der beginnt mit ICH...

 

 

Ich bleibe wie ich bin!